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Auszug der Rahmenerzählung aus "Näherungen" (Romananfang)

"Schon von weitem sah ich das kleine, hellblaue Paket vor der Türschwelle liegen. Ich hob es auf, ohne es genauer anzuschauen, und da ich mit dem Einkauf fürs Wochenende schwer beladen war, klemmte ich es unter den noch freien Arm. Es wäre allerdings klüger gewesen, zuerst die Tür aufzuschließen und sich dann um das Paket zu kümmern. Als ich mühsam den Schlüssel aus der Hosentasche zog, spürte ich bereits, dass der Frizzante unter meinem linken Arm ein Eigenleben zu entwickeln begann, aber da war es bereits zu spät. Unter einem dumpfen Schlag und verfließendem Perlwein begrub ich meine Hoffnung, einen gemütlichen Abend zu verbringen. Verärgert legte ich den Rest auf den Boden und schaute das Paket an: Es hatte die Größe einer flachen Schuhschachtel und kaum Gewicht. Nirgendwo war ein Absender zu finden. In dicken schwarzen Lettern konnte ich meinen Namen lesen, dahinter stand, zwischen zwei geschwungenen Tilden eingefasst: »~Persönlich~«. Die Handschrift war sorgfältig geführt, gefällig, das typische Schriftbild einer Frau. Ihr »r« ähnelte einem griechischen Pi. Sofort fiel mir die Form meines Vornamens auf. Sie war nur wenigen bekannt. Unverzüglich schaute ich zum Poststempel, er war mit vier oder fünf Buchstaben versehen. Der erste war eindeutig ein »K«, der letzte augenscheinlich ein »W«, die Zeichen dazwischen waren nicht zu entziffern. Mir fiel spontan keine Stadt dazu ein.

Gedankenversunken legte ich das Paket beiseite und überlegte, ob ein Internet-Bekannter in Frage kam, aber mir fiel niemand ein. Dann erfasste mich eine Vorahnung, schlagartig wurde ich munter. Ich nahm es erneut in die Hand und schüttelte es: Außer einem Rascheln deutete nichts auf den möglichen Inhalt hin. Ich versuchte mich zu erinnern, blickte noch einmal auf die Schreibweise meines Vornamens und die Vermutung festigte sich. Eine ganze Weile stand ich unbeweglich im Flur, das Paket fest an die Brust gedrückt. Werde ich endlich Antworten auf meine Fragen erhalten?"
© März 2014

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Sprachgitter

Ein graues Sprachgitter
trennt unsere Räume

Beschwichtigende Worte,
die keinen Zugang finden

Sanfte Zwischentöne,
gefangen im babylonischen Netzwerk

Ewige Suche,
ein strahlendes Lächeln zu erblicken

Beglückende Laute,
verschluckt vom Rauschen der Technik

Nur klare Sätze,
lassen erahnen was Dir am Herzen liegt

Wie gerne würde ich dich schauen

Ein Trost,
bei der Umarmung das Salz Deiner Träne zu kosten

© März 2011/Februar 2014

Auszug 1 der Haupterzählung aus "Näherungen"

"Nachdem die Flugbegleiterin von germanwings ihre Sicherheitseinweisung beendet hatte, versuchte Ioan sich in einer bequemen Position auf seinem Innenplatz einzurichten. Den Kampf um die Armlehne zum Mittelplatz hatte er zunächst verloren: Der stämmige Mann mit unleugbarem bayerischem Dialekt, ließ ihm keine Chance zur Rückeroberung. Sein kräftig behaarter Arm mit dem Ausmaß einer Pringles-Chipsdose, schien sich mit der Zwischenlehne fest verschweißt zu haben. Nahm vorher neben dem Bayer am Fensterplatz nicht auch eine beleibte Frau Platz? Ioan stützte sich auf die freie Innenganglehne und wagte einen Blick zum Fenster. Starker Regen draußen. Heimlich bemaß er den Leibesumfang der beiden Platznachbarn: Sie glichen sich wie eineiige Zwillinge, entweder Geschwister oder Ehepaar. Dann erspähte er ihre Eheringe, die in ihre wurstigen Finger so tief eingewachsen waren, dass ihm spontan der Bibelvers 'Was Gott einmal verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen', einfiel. Er musste schmunzeln." (Seite 50)

© März 2014

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Geschenktes Herz



Ein geschenktes Herz

ist das wunderbarste Geheimnis

das wir in uns tragen
© März 2011



(Bild: 
© Gudrun Zahner, Neuhausen)

Auszug 2 der Haupterzählung aus "Näherungen"

"Das hatte er nicht gewollt! Selten konnte er ihre Gefühle so offen lesen wie in diesem Augenblick. Sie war wie ihr Bruder Meister im Kaschieren von Emotionen. Diesmal gelang es ihr nicht. Tief musste die Verletzung gewesen sein, die seine Frage ausgelöst hat. Sie tat ihm plötzlich leid, wie sie da stand, weinend und verletzt. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen und sich mit ihr versöhnt. Wieso stand er nicht auf in diesem wichtigen Moment und ging auf sie zu? Wieso ging er nicht zu ihr hin und umarmte sie?, fragte er sich während er ihre Tränen herunterrollen sah. So lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet, dass sie sich ihm öffnete. Und nun? Es ging nicht, etwas im Innersten weigerte sich, den entscheidenden Schritt zu tun." (Seite 126f)

© März 2014

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Auszug des E-Mail-Verkehrs zwischen Diotima und Valentin aus "Näherungen"

"Gesendet: 24. September 2008 - 22:38

Hallo Valentin,

meinen Namen habe ich nicht nur wegen seines melodischen Klangs ausgewählt. Aber Du hast recht, Valentin passt ausgezeichnet dazu, insofern fühlen wir ähnlich. Zu Deinen Fragen: Nur ungern lasse ich mich auf bestimmte Eigenschaften reduzieren, man ist sehr schnell in einen Rahmen gepresst. Der Mensch ist ein viel zu kompliziertes Wesen, als dass man ihn wie eine Explosionszeichnung an die Wand pinnen könnte. Wenn sich unser Kontakt vertiefen sollte, bekommst Du schon früh genug mit, wer und wie ich bin.
Das betrifft im Übrigen auch mein Aussehen. Zum jetzigen Zeitpunkt will ich nur verraten, dass ich weder eine Barbie-Puppe noch ein hässliches Entlein bin. Und unser Äußeres sollte nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr interessiert mich, was wir miteinander anfangen können und zwar nicht nur auf einer einsamen Insel, sondern im täglichen Leben.

Nach einem anstrengenden Tag sitze ich gerade vor einer Tasse Earl Grey und schmiede Pläne für die Zukunft, dabei könnte ich Deine Wunderlampe dringend gebrauchen. Leihst Du sie mir aus? Ein bisschen Träumen ist ja erlaubt!

Grüße, Diotima

Was ich als verheiratete Frau in diesem Portal suche? Gute Frage! Dazu vielleicht später mehr." (Seite 128)

© März 2014

Auszug 3 der Haupterzählung aus "Näherungen"

„Wenn im Sport gedopt, in der Wirtschaft geschummelt, in der Politik korrumpiert, in der Religion geheuchelt und in der Wissenschaft und Kunst gefälscht wird, dann brauche man sich nicht zu wundern, dass dies alles sich im Internet widerspiegeln würde.“ (Seite 103)

„Er horchte auf, als Anke fortfuhr, die Frage sei nicht, ob die Sammlung und Auswertung von Daten sinnvoll sei oder nicht, denn das sei mittlerweile nicht zu verhindern. Das wie und nach welchen Regeln dies geschehe, um den Missbrauch von Daten zu verhindern, sei der entscheidende Punkt. Man müsse sich rechtzeitig auf Werte und Normen einigen und dazu gehöre, dass nichts ohne Wissen und Zustimmung gespeichert werden dürfe. Ein Raunen ging durch den Saal. Anke hat endgültig das Minenfeld betreten, dachte er sorgenvoll. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das von ihr versehentlich war. Bei einem Datenhändler eine Erweiterung des Schutzes der Privatsphäre zu fordern, ist ungefähr so gewagt wie bei einem Schokoladenproduzenten das Fasten zu propagieren. Anke breites Grinsen deutete an, dass sie die Reaktion der Zuhörer vorausgesehen hatte. Sie legte ihr Skript beiseite und fing an frei zu sprechen:“ (Seite 152)

© März 2014

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Balanceakt mit Netz:

Im Schatten einer Schlehe

der Tag kaum halb vergehe

genieß’ einmal die Ruh

 

entbehrliche Maschen lösen, Ballast abwerfen:

die Hitze des frühen Nachmittags überstehen

 

tragende Stränge prüfen, festigen:

sich bis zum Abend sicher fühlen können

 

frische Fäden spinnen; Fülle erleben:

Körper Geist und Seele das schenken

was man ihnen bei Sonnenaufgang versprochen hat

 

Aus dem Schatten einer Schlehe

trete und frisch zum Werk nun gehe

der Tag der ist noch lang

 

 © September 2009

Auszug 4 der Haupterzählung aus "Näherungen"

"Zweifeln Sie an unserer Fairness?
Ich möchte es folgendermaßen formulieren: Wir haben in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen damit gemacht.
Dafür habe ich volles Verständnis, Ihr Land hat nicht gerade eine lange Tradition für Offenheit und Gerechtigkeit.
Nicht doch, Herr Weidmann, Sie haben mich missverstanden. Ich sprach nicht über die Ukraine. Dort mag vieles noch im Argen liegen. Wir schreiben es uns auch nicht groß auf die Fahne. Im Westen hingegen wird Freiheit und Gerechtigkeit als hohes Gut gehandelt, und dennoch latent mit den Füßen getreten. Luschenko begann nervös mit den Händen zu fuchteln.
Aber, aber, Frau Vasylenko, entgegnete Richard mit sarkastischem Unterton, ich schätze Ihren Intellekt. Aber ich glaube nicht, dass ich mir von Ihnen einen Vortrag über freiheitliche Werte anhören muss. Ich war oft genug in ihrem Land, um zu sehen welchen Repressalien die Bürger dort ausgesetzt sind.
Das mag Ihnen nach außen so erscheinen, und die politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten sind derzeit tatsächlich eingeschränkter als hier. Im Inneren, Herr Weidmann, und ich kenne beide Länder sehr gut, glauben Sie mir, in ihrem Inneren sind die Menschen dort glücklicher als hier. Wenn ich in einer deutschen Stadt durch die Straßen flaniere, strahlt mich keiner an. In Kiew sind die Menschen höflich und freundlich zueinander, sie lächeln sich beim Vorbeigehen an. Haben Sie das nicht gespürt, als Sie bei uns waren. Für Ioan sah es so aus, dass Richard von diesem Scheingefecht genug hatte, denn sein Gesicht verlor an Freundlichkeit und sein Ton wurde schärfer.
Ehrlich gesagt, erschien mir die Freundlichkeit nur aufgesetzt. Ich habe mich gefühlt wie in Potemkinschen Dörfern. Richard schien sich nicht sicher zu sein, schaute in die Runde. Das war doch damals in der Ukraine, oder? Als Luschenko nervös nickte, fühlte er sich bestätigt und fuhr selbstsicher fort. Sag ich doch, nicht umsonst waren die Potemkinschen Dörfer in der Ukraine. Bis heute ist vieles nur Fassade dort.
Ich glaube, Herr Weidmann, jetzt müssen Sie aufpassen, dass Sie den Bogen nicht überspannen. Auch Verenas Blick hatte sich versteinert. Ihre Sätze wurden lauter und fester in der Stimme. Denn ich kann auch anders, und über andere Fassaden sprechen, die Ihnen gar nicht gefallen würden.
So?, fragte Richard gekünstelt. Sie werden doch nicht während einer zwanglosen Plauderei ihre Contenance verlieren. Verena setzte ein süffisantes Lächeln auf. Ioan spürte, dass eine Zuspitzung des Konflikts unmittelbar bevorstand." (Seite 167f)

© März 2014

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Der Mensch, das geteilte Wesen

Stolz streckt er sich gen Himmel, feiert groß, viele Triumphe

Weisheit hält die Balance, bringt Ruhe, in das Leben

Mit der Erde fest verbunden, mythisch, sein Ursprung 

 

© August 2012/Januar 2014

Auszug 5 der Haupterzählung aus "Näherungen"

„Es fing an zu schneien, der Wetterbericht behielt Recht, dachte er. Zunächst peitschten winzige Flocken wie Mücken im Sommer gegen die große Scheibe. Minuten später wuchsen die kaum sichtbaren Flöckchen zu Fingerkuppengröße an. Sie wiegten sich willig im Wind. Seine Augen versuchten ihrer Bahn zu folgen. Bald verdeckte ihm der dichte Schneefall die Sicht auf die beiden Weiden. Die Schneeflocken wurden dünner und die Weiden tauchten im Dämmerlicht wieder auf. Für einige Augenblicke hörte es auf zu schneien. Er sah drei schwarzen Vögeln nach, die kreischend zwischen den Bäumen hindurchflogen, um am Firmament zu verschwinden. Schließlich setzte aufs Neue Schneefall ein, der die ganze Nacht anhielt. Das Farbenschauspiel des Herbstes war endgültig beendet.“ (Seite 243)

© März 2014

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